30.September: Triest und Österreich, von 1382 zum unabhängigen Staat
Artikel von Paolo Parovel, La Voce di Trieste, 30.09.2015
Bild 1: Karte Österreich-Ungarns (Quelle: APA)
Am 30. September 2016, kurz nach Herbstbeginn, werden wir das 634. Jubiläum der freiwilligen Unterwerfung der kleinen unabhängigen Stadt Triest unter den Habsburger Leopold III. – den Herzog von Österreich, feiern. Die Unterwerfung – mit der sich Triest den Habsburgern anvertraute- erfolgte zum Schutz der eigenen Freiheit, um nicht wie die anderen Küstenstädtchen der nordöstlichen Adria eine Kolonie von Venedig zu werden. Diese Unterwerfung wurde 1382 in Graz vollzogen.
Über ein halbes Jahrtausend von Schutz, Bruderschaft und Entwicklung
Es begann damit – 110 Jahre vor der Entdeckung Amerikas – die freiwillige staatliche Bindung zwischen Triest und Österreich, die 536 Jahre – bis November 1918 – andauerte. Das gewährleistete der Stadt (und Region) für mehr als ein halbes Jahrtausend ihre Unabhängigkeit, mit der Würde eines Kronstaates und später eines Mitgliedlandes des Kaiserreichs, durch die persönliche Bindung mit dem Souverän.
Seitdem trug jeder Herrscher des Hauses Österreich auch den autonomen Titel „Herr von Triest“, wo er als persönlichen Vertreter zuerst einen Hauptmann und später einen kaiserlichen Statthalter hatte, der dem freien Stadtparlament, in voller Anerkennung seiner 1850 mit der beispielhaften „Verfassung der reichsunmittelbaren Stadt Triest“ konsolidierten Freiheit und Verfassungen, beistand.
Bis 1918 feierte Triest den 30. September als offiziellen Festtag und zum 500. Jubiläum errichtete die Stadt eine repräsentative Gedenkstätte am Bahnhofsplatz. Sitz des kaiserlichen Statthalters war der sehr elegante Regierungspalast am Hauptplatz, gegenüber der österreichischen Lloyd.
Es ist jene freiwillige Bindung mit Österreich, die die politische und wirtschaftliche Integration – der am nördlichsten Punkt des Mittelmeers liegenden freien Hafenstadt – mit dem mitteleuropäischen Hinterland ermöglichte. Jene Bindung, die seit dem 18. Jahrhundert der Stadt die größte kulturelle und materielle Entwicklung in der fruchtbaren Vielfalt der Sprachen, der Religionen und der Wissenschaft durch die Studien, die Schifffahrt, das Gewerbe und den Welthandel mit seinem Freihafen gewährleistete.
Es war kein Zufall dass Österreich (später Österreich-Ungarn), nicht nur Beschützer von Triest, sondern auch die einzige europäische Großmacht war, die sich felsenfest weigerte eine Kolonialmacht zu werden. Österreich war dann auch die liberalste Monarchie Europas in dem sie mit ihren Gesetzten das Judentum und den Islam – und mit Joseph.II die Fraumaurerei dazu – schützte.
Im Jahre 1797 eröffneten die Vereinigten Staaten von Amerika in Paris und Triest ihre zu diesem Zeitpunkt ersten zwei Konsulate auf dem Kontinent. Charles Albert de Morè, einer der Leutnante Washingtons und Lafayettes im ersten Unabhängigkeitskrieg, erklärte Triest als “the Filadelfia of Europe, the typical pioneer city of our old continent, the port in wich castaways find shelter and a new, promisig life„.
Die von Kriegen und Ideologien unterbrochene natürliche Bindung
Die natürliche, solide und fruchtbare Bindung von Triest mit seinem Hinterland, und auch die tiefe Verwurzelung mit der Kultur und der Ethik des Hauses Österreich, konnte – trotz der tapferen Verteidigung und des erbitterten Widerstands der Triestiner, die 99% für Österreich-Ungarn kämpften- nur mit Waffengewalt gebrochen werden.
Die Waffen verursachten das verheerende Ergebnis des ersten Weltkriegs 1914-18, der von vielen auch nach einem Jahrhundert als Träger der Freiheit lobgepriesen wurde und immer noch wird.
Dabei war er nur der sinnlose und fürchterliche Schlachthof von Völkern, der die Herabwürdigung und Zersetzung der europäischen Kultur veranlasste, der Nationalismus, Rassismus, totalitäre Ideologien und schreckliche Völkermorde und weitere gewaltige Kriege des zwanzigsten Jahrhunderts einleitete. Ereignisse, die man wieder gutmachen will, indem man versucht ein neues multinationales Europa aufzubauen welches auf einem immer noch zu unnatürlichen und zu unausgewogenen Modell basiert.
Jene 536 Jahre juristische und praktische Unabhängigkeit von Triest mit (und nicht „unter“) Österreich sind „nur“ von den unglückseligen 25 Jahren – zwischen November 1918 und September 1943 – von der groben und gewalttätigen nationalistischen und rassistischen Besetzung von Seiten des italienischen Königreichs und seinem faschistischem Regime unterbrochen worden, bevor es – zwischen September 1943 und Mai 1945 – von deren grausamen Nazi-Verbündeten ersetzt wurde.
„Nur“ 27 Jahre, die aber wie Jahrhunderte empfunden wurden, in denen man offiziell in der Kultur der neuen Generationen das echte historische Gedächtnis von Triest mit nationalistischer, brutaler und grotesker Propaganda auslöschen wollte. Ein Vorgang der auch nach 1945 und auch heute wieder wiederholt wird und der italienischen Bevölkerung als Patriotismus verkauft wird.
Die Unabhängigkeit Triests seit 1947
Nach jener kurzen aber sehr schweren Unterbrechung wurde aber die Unabhängigkeit der Hafenstadt von Triest und seines Internationalen Freihafens von den alliierten Siegermächten im neuen weltweiten Kontext mit dem geltenden Friedensvertrag von 1947, als Free Territory of Trieste – Territorio Libero – Svobodno ozemlje – wiederhergestellt.
Im Wesentlichen weil es nicht möglich war Triest einem wieder gegründeten Österreich-Ungarn zurückzugeben, wurde die Hafenstadt als neuer Mitgliedsstaat der Vereinigten Nationen gegründet. Es steht seit dem unter dem Schutz der Vereinten Nationen und unter Gewährleistung einer internationalen Leitung des Hafens mit besonderen Rechten für Österreich, sowie auch anderen Staaten des mitteleuropäischen Hinterlandes , des ehemaligen Österreichisch-Ungarischen Hinterlandes und auch der Schweiz.
Die den Friedensvertrag unterzeichnenden Mächte, sowie die Vereinten Nationen haben auch das Regime der provisorischen Regierung des neuen unabhängigen Staats von Triest mit einem besonderen Treuhandsverwaltungsmandat eingeleitet, das von 1947 bis 1954 den Regierungen der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs anvertraut wurde, die es auch im Sinne der Abkommen in Gesetzmäßigkeit und Korrektheit auf beispielhafte Weise ausgeführt haben.
Die italienische provisorische Verwaltung
Ab 1954 wurde die Ausführung des Friedensvertrags – in der gleichen Rolle als lediglich provisorische Regierung – der italienischen Regierung (und nicht dem italienischen Staate) anvertraut.
Im Gegensatz zur englisch-amerikanischen Administration, übte die italienische provisorische Regierung das internationale Mandat auf eine immer regelwidrigere für die zu verwaltende Bevölkerung auf immer katastrophalere Art und Weise aus. Dabei wurden auch die verbrieften Rechte und Interessen anderer Staaten auf den Internationalen Freihafen verletzt und weitestgehend ignoriert.
Die neue verwaltende Regierung, hat in der Tat die Stadt und den freien Hafen nicht pflichtgemäß mit getrennter Verwaltung betrieben, sondern hat hier allmählich die Souveränität des italienischen Staates vorgetäuscht, und dabei dem italienischen Staate ermöglicht, sich alle wirtschaftlichen Ressourcen und Vermögenswerte Triests anzueignen und die Bezahlung italienischer Staatsschulden und einer enormen und nicht gebührenden Zahl an Steuern aufzuerlegen, was durch den Friedensvertrag ausdrücklich verboten ist.
Dieser Missbrauch hat die Wirtschaft der Stadt zerstört und ihre produktive europäische und internationale Rolle entwertet in dem ihr die Arbeit weggenommen wurde und wird. Dies stürzt die Triestiner in eine immer zunehmendere Armutsspirale, die mit der allgemeinen wirtschaftlichen Krise jetzt Ausmaße erreicht hat, die menschlich untragbar und moralisch unerträglich sind. Einzig nur die parasitäre lokale Vertretung des systematisch korrupten italienischen Politsystems gedeiht, welches dem allgemeinen wirtschaftlichen und steuerlichen Missbrauch den letzten gesetzwidrigen Versuch hinzufügt, den Internationalen Freihafen des Free Territory of Trieste ganz zu erdrosseln, um die mitteleuropäischen Verkehrsachsen und sogar das Freihafenregime auf die Häfen der italienischen Halbinsel umzuleiten.
Triest befreien und Mitteleuropa wiederaufbauen
Diese politischen und wirtschaftlichen Gewaltakte haben in der heutigen Welt und in den heutigen Möglichkeiten den symbolischen und praktischen Zyklus wieder eröffnet, der die Bevölkerung von Triest zwingt ihr eigenes konkretes Überleben und ihre eigene Würde vor den gleichen aggressiven politisch-wirtschaftlichen Interessen zu verteidigen, wie schon damals im Jahr 1382 – als man Österreich um Schutz bat und ihn von Österreich auch mehr als ein halbes Jahrtausend lang bekam.
Heutzutage ist die direkte Verteidigung nicht mehr eine freiwillige Unterwerfung zu Österreich, sondern sie besteht aus dem Einfordern der vollständigen Einhaltung der Rechte des unabhängigen Staats und Freihafens des Free Territory of Trieste – seiner Wirtschaft und seiner Kultur zum Vorteil aller anderer Staaten, und im wiedergefundenen philosophischen und praktischen aus Philadelphia stammenden Geist.
In diesem modernen Kampf um die Rechte Triests, kann Österreich zwei wichtige Rollen spielen, die nicht nur historisch-gefühlsbetont sind, sondern praktischen Charakter haben.
Die erste ist logischerweise als Kandidat für die Nachfolge der italienischen Regierung als provisorischer Verwalter des Free Territory of Trieste und seines Internationalen Freihafens im Auftrag der Vereinten Nationen, aufzutreten. Das Movimento Trieste Libera – Bewegung Freies Triest- zusammen mit über 15.000 Bürgernunterschriften hat einen formellen Antrag bei den Vereinten Nationen bereits eingereicht.
Die zweite Rolle, unabhängig von der vorher genannten, ist es der historische und geo-politische Angelpunkt einer Interessenkoalition der Länder Mitteleuropas zu sein, mit denen Triest ein halbes Jahrtausend seine Geschichte brüderlich verbunden durch politische und wirtschaftliche Stabilität teilte und für ein Gleichgewicht in Süd-Ost-Europa sorgte.
Die Wiederherstellung des mitteleuropäischen Donauraumes wird aus verschiedenen Gründen bereits vollzogen. Sei es wegen der immer deutlicheren Schwächen und der schwer wiegenden Unausgeglichenheit der Europäischen Gemeinschaft, sei es wegen des Versagens im Management der Flüchtlinge aus Nahost, oder der Wirtschaftskrise.
Dazu ist jedoch der Zusammenhalt Ungarns, Österreichs, Kroatiens und Sloweniens erforderlich.
Triest darf bei all dem nicht abwesend sein.