Die Krise der slowenischen Politik, Teil zwei. Der dritte Schritt und die geostrategische Positionierung Sloweniens.

Die Krise der slowenischen Politik, Teil zwei. Der dritte Schritt und die geostrategische Positionierung Sloweniens.

von Sebastjan Jeretič

Neulich habe ich gefragt, wohin die großen Leitfiguren verschwunden sind und habe von der Krise der Fähigkeit zu führen geschrieben, die sowohl Slowenien wie ganz Europa gelähmt hat. Heute fahre ich mit dem Nachdenken über die Krise der slowenischen Politik mit der Frage der geostrategischen Positionierung Sloweniens als dritter Schritt nach der Staatsgründung und dem Eintritt in die euro-atlantischen Integrationsprozesse fort.

Nach dem Beitritt Sloweniens zur Europäischen Union und zur NATO entstanden einige Initiativen für die Gestaltung eines dritten größeren Konsenses der slowenischen Politik. Der zentrale Zweck dieser Initiativen war die Bewahrung eines strategischen Kompasses, der der Tagespolitik übergeordnet sein und sie nach einem deutlich markierten Weg ausrichten sollte. Ziel war die Ausformung einer einheitlichen Vision hinsichtlich der ökonomischen Entwicklung und die Antwort auf die Frage, wovon wir in unserem neuen Staat leben werden. Die Initiative war erfolglos.

Warum sind strategische Ziele überhaupt von Bedeutung? Zu Ende der Achtziger Jahre hatten die politischen und gesellschaftlichen Bewegungen einen klaren Vektor ihrer Wirkungsweise. Jeder Schritt, jede Idee, jeder Vorschlag, konnte hinsichtlich der grundlegenden Frage der damaligen Zeit überprüft und bewertet werden: welche Auswirkungen das auf die Anstrengungen für die Ausgestaltung eines unabhängigen Staates haben würde? In den Neunzigern gab man uns einen neuen Kompass, und jeder Schritt wurde in Hinblick auf diese Frage abgewogen: Wie würde die Auswirkung auf unseren Weg in die Integrationsprozesse sein? Die gesamte staatliche Politik war den Harmonisierungsprozessen unserer eigenen Legislative mit jener Europas untergeordnet. Da dieser Prozess unter klaren Rahmenbedingungen stattfand, wurde unserer Politik keine Kreativität abverlangt, lediglich eine brave Befolgung der Instruktionen.

Beide Aufgaben haben wir erfolgreich gelöst, und so haben wir heute einen Staat, der an den euroatlantischen Integrationsprozessen teilnimmt. Dann jedoch haben wir uns ein wenig verlaufen.

Große strategische Ziele sind bedeutsam, weil sie verhindern, dass sich die Tagespolitik in politischer Kleinkrämerei und einem kopflosen Hin und Her verliert. Der nationale Konsens stellt einen deutlichen Rahmen für ein Vorgehen nach diesem Kompass auf, der einzelne Schritte in eine klar festgelegte Richtung lenkt. Und Slowenien ist nicht der einzige Staat in so einer Lage, sind doch nach dem Zerfall Jugoslawiens und der Sowjetunion auch andere neue Staaten entstanden, von denen einige schon Teil der Integration sind, während andere diesen Weg noch beschreiten.

In einer ähnlichen Situation wie wir vor einem guten Jahrzehnt ist heute etwa Montenegro. Heuer wird es das zehnjährige Jubiläum der Wiedererlangung der Souveränität feiern und den Prozess des Beitritts zu NATO und EU abschließen. Auch bei ihnen stellt sich die Politik die Frage, wie weiter und wovon man leben würde. Die Sozialdemokraten von Ivan Brajović lancierten etwa die Initiative „Partnerschaft für den dritten Schritt: eine Vision wirtschaftlicher Entwicklung“, die genau auf der Feststellung basiert, wie wichtig strategische Rahmenbedingungen für die Tagespolitik sind. Mehr darüber können Sie hier lesen. Im vorhergehenden Text habe ich drei grundlegende Wirkungsfelder für eine große politische Leitfigur neben dem technischen Management der staatlichen Subsysteme dargelegt:

  1. Umgang mit der grundlegenden geschichtlichen Aufgabe
  2. Umgang mit dem Klima in der Gemeinschaft
  3. Umgang mit den Überzeugungen in der Gemeinschaft

 

Einer der kontroversiellsten politischen Denker war der florentinische Renaissancepolitiker Niccolò Macchiavelli. Seine Arbeit war Gegenstand zahlreicher Abhandlungen von einer Dämonisierung bis hin zu tiefsinnigen philosophischen Überlegungen. Die Mehrheit der Kritiker ist auf seinen Text fixiert, dem man nach seinem Tod den Titel „Der Fürst“ gab, doch vermag man den Text nicht authentisch zu erfassen, ohne seinen Hintergrund zu kennen. Macchiavelli war ein Republikaner und bekleidete die Funktionen des Innen-, Verteidigungs- und Außenministers in einer Person. Nach dem Sturz der Republik stürzte auch er. Sein „Fürst“ war ein Versuch, unter neuen Bedingungen persönlich zu überleben, doch hat er auch einen weiter reichenden Hintergrund.

Unter seinen grundlegenden Konzepten befindet sich das Paar fortuna und virtù, die das Schicksal des historischen Moments und die Fähigkeit des Herrschers bezeichnen, die zentrale geschichtliche Aufgabe, die vor ihm liegt, zu verstehen und sich mit ihr auseinanderzusetzen. Für ihn gab es hinsichtlich der zentralen Aufgabe der damaligen Zeit kein Dilemma: An die erste Stelle stellte er das Faktum, dass Italien geschichtlich zu spät gekommen sei, da es diesem nicht gelungen sei, die Zersplitterung in kleine Stadtstaaten zu überwinden und einen großen Nationalstaat zu gründen, wie dies viele andere europäische Nationen getan hätten. Daher ordnete er seinem Republikanismus zum Trotz all seine Gedanken der Suche nach einer großen Führerfigur unter, die fähig wäre, Italien zu diesem Ziel zu führen und so die historische Aufgabe jener Zeit zu erfüllen.

Und was ist unsere historische Aufgabe? Nach einem guten Jahrzehnt des Herumstreifens ist nun die Zeit für einen politischen Führer gekommen, der einen Rahmen für diesen dritten Schritt aufstellen und eine Vision für unsere wirtschaftliche Entwicklung ausbreiten könnte. Seine erste Aufgabe aber wäre es, den geschichtlichen Moment zu begreifen und Slowenien auf das Terrain des heutigen internationalen Geschehens zu setzen.

Einst sagte einer der Direktoren eines großen slowenischen Handelsunternehmens anlässlich eines Runden Tisches, dass unsere Gegend – er dachte an das Gebiet südlich der Alpen – in der Geschichte immer rückständig gewesen und hinter den entwickelten Zentren Europas zurückgeblieben sei. Obwohl das für den Großteil der Geschichte zutrifft, gibt es einen leuchtenden Punkt, der als Inspiration für die heutige geostrategische Positionierung Sloweniens dienen könnte. Es war die Zeit, als die Adria das Epizentrum der entwickelten Welt war. In der Zeit der großen Republik Venedig, der Serenissima, war unsere Gegend der Eintrittspunkt für Waren aus Asien und folglich das mächtigste Finanzzentrum jener Zeit. Das waren jene Zeiten, als die gesamte Region in den Genuss einer positiven Konjunktur kam. Können wir das wiederholen?

Solange sich das Epizentrum Europas im Norden befindet, kann Slowenien nur die Peripherie sein, und am Rand ist das Leben niemals so reich wie im Zentrum. Deshalb ist die Politik von Staatspräsident Borut Pahor völlig verfehlt, die darauf besteht, dass Slowenien an Deutschland und Frankreich angelehnt sein müsse, da dies unsere einzige Option sei. Diese Politik hält uns am Rand, vom dem aus uns schwerlich ein wirtschaftlicher Sprung nach vorne gelingen kann.

Doch leben wir in einer Zeit, in der dieses nördliche Epizentrum zu bröckeln beginnt und sich Möglichkeiten für grundlegende Veränderungen eröffnen. So prophezeien einige ein polyzentrisches Europa, in dem Polen eine gewichtige Rolle einnehmen wird, in dem eine neue Seidenstraße von Piräus bis Budapest der Eintrittspunkt für Waren aus Asien sein wird … kurzum, es kündigt sich ein wesentlich horizontaler ausgerichtetes Europa an. Können in dieser gerade entstehenden Konfiguration auch wir uns wiederfinden? Damit Slowenien tiefe und solide Grundmauern für einen wirtschaftlichen Aufschwung bekommt, müssen wir Teil eines der neuen europäischen Epizentren werden.

 

Mirošič’s Botschaft

Unser ehemaliger Botschafter in Rom, Iztok Mirošič, stellte die Eckziffern und einen Ausblick auf die Entwicklung der nördlichen Adria sowie Mitteleuropa in einem Text vor, den Sie hier nachlesen können. In einem umfassenden Text führte er eine Reihe von Tatsachen an, welche die Aktivitäten unserer Nachbarn und die diesbezügliche Untätigkeit der slowenischen Politik demonstrieren. Im Rahmen eines solchen Exposées schrumpfen ein zweites Geleise, ein drittes Pier und eine Reihe weiterer Infrastrukturprojekte zu Peanuts. Dies jedoch nur, wenn die richtige Geschichte weitererzählt wird.

Slowenien benötigt einen Leader, der die virtù besitzt, den heutigen Moment und unsere Möglichkeiten in ihm zu begreifen. Der Grundstein, auf den wir unseren wirtschaftlichen Sprung nach vorne basieren können, ist die Entwicklung der nördlichen Adria zu einem der neuen Epizentren Europas. Darüber habe ich schon hier geschrieben und dieses Projekt Marco Polo 2.0 genannt. Essentiell ist also, dass sich der wirtschaftliche Schwerpunkt aus dem Norden in unsere Nähe verlagert.

Angesichts all dessen, was schon über die außerordentliche Lage unseres Landes geschrieben wurde, muss man die strategischen Vorteile Sloweniens nicht mehr zusätzlich absichern. Nicht nur, dass wir uns am oberen Ende der Adria befinden, wo der Seeweg sich am meisten Mitteleuropa annähert, verfügen wir vielmehr noch über einen geographischen Punkt, an dem der Karstrand am leichtesten überwunden werden kann, was im Vergleich der wesentliche Vorteil für unsere Logistik ist. Ansonsten gibt es überhaupt keine Notwendigkeit, dass Slowenien in diesem neuen Epizentrum die Hauptrolle spielen sollte. „Wenn die Flut kommt, haben alle Boote Oberwasser“, sagt man bei uns. Es ist absolut ausreichend, dass wir auf dem Territorium eines der Epizentren und nicht am Rand des entwickelten Europa leben werden.

 

Ein neues Paradigma der Außenpolitik

Deshalb müsste Slowenien seiner Politik des sich an den germanischen Distrikt Andienens ein Ende bereiten und sich als Motor des Zusammenschlusses der Länder des Adriaraumes und Mitteleuropas positionieren; dies mit dem Ziel, dass sich die nördliche Adria zu einem weiteren Eintrittspunkt asiatischer und arabischer Waren und Finanzen in unseren Teil Europas entwickeln möge. Wir sind gerade klein genug, dass wir niemanden übermäßig bedrohen, und können deshalb die Rolle des Brückenbauers und Koordinators dieses Projektes einnehmen. Neben einer neuen Seidenstraße nimmt für unsere Wirtschaft die Entwicklung der gesamten nördlichen Adria in ein neues Epizentrum von Warenströmen, Handelsverbindungen und dafür dringlichen Finanzleistungen eine Schlüsselrolle ein.

Neben dem Verständnis dieser geostrategischen Möglichkeiten für Slowenien und der sich daraus ergebenden diplomatischen Aktivitäten auf diesem Gebiet sind auch die folgenden Aufgaben klar, wie die Entwicklung der Infrastruktur sowie aller Dienstleistungen der gesamten logistischen Plattform. All das ist Teil des Mosaiks, in welchem jedoch ein wesentliches Stück der zentrale Magnet darstellt, welcher unserem Epizentrum im Vergleich jenen Vorteil verleihen wird, den die – so nehmen wir an – die Neue Seidenstraße nicht haben wird. Dieser zentrale Magnet ist natürlich eine Offshore-Zone, die Waren, Dienstleistungen und Finanzen anziehen wird. Eine derartige Offshore-Zone hat die nördliche Adria schon, nutzt sie aber nicht in einer Art und Weise, dass die gesamte Region davon profitieren würde. Sie nutzt sie nicht als Magnet in einer so designierten Geschichte mit der längerfristigen Perspektive des Ausbaues eines neuen wirtschaftlichen Epizentrums.

Ganz ungewöhnlich ist es, wie unbekannt bei uns die Tatsache ist, dass sich der Hafen Triest auf der weltweiten Karte der Offshore-Zonen wiederfindet. Noch ungewöhnlicher ist die Tatsache, dass sich die slowenische Politik der Möglichkeiten nicht bewusst ist, die dieses Fakt auch für uns mit sich brächte. Das Regime einer Freihandelszone in Triest geht aus dem Annex 8 zum Pariser Friedensvertrag hervor, den auch das Memorandum von London ausdrücklich bestätigt hat und der über all die Jahre so oder anders in unserer Nachbarschaft zur Anwendung kommt. Für uns entscheidend ist, dass dieser Annex 8 auch festlegt, dass bei Bedarf das für den Hafen Triest geltende Regime auf irgendeinen Punkt des Freien Territoriums Triest ausgeweitet werden kann. Das ist derzeit das größte Potential, das Slowenien ausschöpfen kann, doch ist dies über all die Jahre völlig übersehen worden.

Wir verfügen also fast über alles, was wir für die Vision eines vor Slowenien liegenden dritten Schrittes benötigen. Wir haben eine geostrategische Position, ein Brüchigwerden eines monolithischen Europas mit einem einzigen Zentrum, eine Verbreiterung des Suezkanals sowie einen Ersteintrittspunkt asiatischer Waren nach Europa, wir haben eine einmalige geschichtliche Gegebenheit, die uns die Entwicklung der Offshore-Zone ermöglicht …

Was also fehlt noch, dass sich Slowenien als Motor der Entwicklung der nördlichen Adria positionieren kann? Es fehlt uns ein politischer Leader, der all das verstehen und unser Land auf diesen Weg führen könnte. Suchen wir ihn!

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